Formale Anforderungen in Ausschreibungen: Ein Balanceakt zwischen Nachforderung und Ausschluss
Quick Tipp #21 vom Fachanwalt für Vergaberecht (Täglich Mo-Fr)
Was die VK Südbayern, Beschluss vom 13.06.2023 - 3194.Z3-3_01-23-11, dazu sagt.
⚖️ Kernbotschaft:
Ein Ausschluss eines Angebots wegen Abweichungen von Vorgaben des Auftraggebers zur rein formalen Gestaltung des Angebots (hier: Vorgaben zur Benennung von Dateien), die nicht zu einem von den Vorgaben des Auftragsgebers abweichenden Vertragsinhalt führen und auch nicht die Gleichbehandlung der Bieter berühren, ist regelmäßig gem. § 97 Abs. 1 Satz 2 unverhältnismäßig.
💡 Einordnung und Fachanwaltstipp:
Im Gesetz steht, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müssen. Und genau diesen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hält die Vergabekammer für verletzt, wenn ein Angebot ausgeschlossen wird, das bloß formalen Vorgaben des Auftraggebers zur Benennung von Dateien nicht entspricht.
Warum machen Auftraggeber denn so etwas. Um die Übersicht zu behalten. Um sich die Auswertung der Angebote zu erleichtern. Und genau da wird es schwierig. Denn der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Auftraggeber auch formale Vorgaben für die Einreichung von Angeboten machen kann. Er kann zum Beispiel bestimmte, allgemein verfügbare Dateiformate vorgeben, auch wenn diese Vorgabe nur dazu dient, ihm die Angebotsauswertung zu erleichtern (BGH, Urteil vom 16.05.2023 - XIII ZR 14/21). Ob die Vorgabe, Dateien nach einer bestimmten, vorgegebenen Systematik zu bezeichnen, auch eine vergaberechtlich zwingende Vorgabe ist, ist schwierig zu beantworten. Denn der Auftraggeber darf festlegen, welche elektronischen Mittel bei der Einreichung von Angeboten zu verwenden sind. Aber ist eine Dateibezeichnung das selbe, wie ein Dateiformat? Und wenn ja, stellt sich die schwierige Frage: Nachfordern oder ausschließen? Der BGH hat in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass das Angebot ausgeschlossen werden muss. Weil er auf der Grundlage der VOB/A 2016 entscheiden musste. Die jetzige VOB/A 2019 sieht die zwingende Nachforderung vor. Aber das ist ja irrsinnig. Da macht der Auftraggeber eine Vorgabe zur Dateibezeichnung, die ihm die Angebotsauswertung erleichtern soll. Der Bieter hält sich nicht daran. Der Auftraggeber fordert nach. Und dann muss er alle nachgereichten (und formal richtig bezeichneten Dateien) daraufhin überprüfen, ob der Bieter keine inhaltliche Änderung vorgenommen hat?!? Der Aufwand ist enorm, jegliche Erleichterung ist dahin. Übrigens, bei der Vergabe von Lieferungen und Leistungen, also im Bereich der Vergabeverordnung (VgV), gibt es keine zwingende Nachforderung. Da steht es im Ermessen des Auftraggebers, ob er sich diese Mühe machen möchte.
Warum ich den Schlussappell heute mal etwas anders formuliere, erfährst du im Video.
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