filmPOLSKA@home 2020 - Retrospektive
Wojciech Jerzy Has: Ein schillernder Solitär
Die diesjährige Werkschau vom filmPOLSKA sollte sich dem Regisseur Wojciech Jerzy Has (1925–2000) widmen. In Zusammenarbeit mit der Kinemathek des Deutschen Historischen Museums hatten wir acht seiner Filme ausgewählt. Den Einführungstext dazu schrieb Margarete Wach, die 2019 für ihr wissenschaftlichen Einsatz für die polnische Filmkunst in Deutschland mit dem filmPOLSKA-Award ausgezeichnet wurde. Wir hoffen, in absehbarer Zeit dieses wunderbare Programm auf der großen Leinwand präsentieren zu können.
„Wie eine Phantasmagorie zwischen Erinnerung und Beschwörung nimmt sich das schlafwandlerische Opus „Sanatorium pod klepsydrą / The Hourglass Sanatorium“ aus, das nach den Studentenunruhen vom März
1968 konzipiert wurde, als eine Welle antisemitischer Säuberungen Polen erfasste. Wojciech Jerzy Has konnte das Projekt erst realisieren, nachdem Kazimierz Kutz 1972 die Leitung des Filmstudios Silesia übernommen hatte und es gegen den erbitterten Widerstand der Parteieliten durchboxte. Trotz Festivalerfolgen im Westen verbannte man den Solitär schließlich in die Regale der Zensur. Auch wenn Has nicht direkt mit einem Berufsverbot belegt wurde, so durfte er doch neun Jahre lang keinen Film mehr drehen.
Geboren 1925 in Kraków, drehte Has in der Zeit des Stalinismus zunächst impressionistische Dokumentarfilme und debütierte 1956 in der „Tauwetter“-Periode als Spielfilmregisseur. Obwohl er neben Andrzej Wajda, Jerzy Kawalerowicz und Kazimierz Kutz zu den Vertretern der Polnischen Filmschule gerechnet wird, hatte Has wenig mit ihrer geschichtsfixierten Hauptströmung zu tun. Verrinnende Zeit, nicht näher definierter Fatalismus und ein Gefühl der Ausweglosigkeit prägen sein Frühwerk, das stark vom Existentialismus und „magischen Realismus“ Marcel Carnés beeinflusst ist. Seine innerlich gebrochenen Helden durchleben existentielle Dramen, Einsamkeit und Ohnmacht. In „Jak być kochaną / How to Be Loved“ nutzte Has die subtile Introspektion einer Schauspielerin, die während des Kriegs einen Widerstandskämpfer versteckte, um die nationale Mythologie und Legendenbildung zu hinterfragen. Rückblenden-Dramaturgie und der Topos des Abschieds bestimmen den abgeklärten Ton seiner Literaturadaptionen nach Vorlagen bekannter Nachkriegsautoren wie Marek Hłasko, Stanisław Dygat und Kazimierz Brandys. Ihre Grundmotive, Reise und Flucht, erweisen sich in den Filmhandlungen als Illusion, sie bieten keine Befreiung von den Schatten einer ambivalenten Vergangenheit.
Als das New Yorker Filmfestival 1997 eine Has-Retrospektive plante, ließ Martin Scorsese dessen Opus Magnum „Rękopis znaleziony w Saragossie / The Saragossa Manuscript“ restaurieren. „Kino voller Magie, Kino wie ein Traum“ (TIP 3/2000), aus dem Geiste der Literatur und Malerei – angesiedelt irgendwo zwischen Chiricos somnambulen Landschaften, Max Ernsts Collagen, holländischen Stillleben, zwischen surrealistischer Subversion und barocker Pracht. Has‘ ästhetisches Credo, „in Bilder zu übersetzen, was in der Literatur als nicht verfilmbar erscheint“ (Kino, Nr. 9, 1996), gilt auch für sein nach der erzwungenen Schaffenspause entstandenes Spätwerk, das aber die geschliffene Eleganz und ironische Vieldeutigkeit seiner frühen Arbeiten nur noch ansatzweise erreicht.“
Margarete Wach