Dmitri Schostakowitsch zum 22. Parteitag
der KPdSU zu Besuch in der DDR.
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Dmitri Schostakowitsch zum 22. Parteitag
der KPdSU zu Besuch in der DDR.
Ein Interview des Fernsehens der DDR
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Interview mit dem Dirigenten Kurt Sanderling, der Schostakowitsch
gut kannte.
Sie haben Schostakowitsch 1972 in Gohrisch besucht. Was ist Ihnen von dieser Begegnung in Erinnerung?
Schostakowitsch ist immer sehr gern in der damaligen DDR gewesen, weil er hier von oben die Anerkennung und die Zustimmung gefunden hat, die ihm in seiner Heimat versagt geblieben ist. Man hat ihn ja dort nur zähneknirschend anerkannt. Hier spürte er bei den Oberen, also den damaligen Vertretern des Kulturministeriums, doch eine große Wärme und, ich möchte fast sagen, Ehrfurcht. Das hat ihm gut getan, und aus diesem Grunde hat er sich auch in Gohrisch scheinbar immer sehr wohl gefühlt. Ich habe ihn nur einmal dort aufgesucht, das muss sein letzter Besuch in Gohrisch gewesen sein.
Sie waren bei seinen Besuchen in der DDR einer seiner wichtigsten Ansprechpartner.
Nun ja, er hat meine Gesellschaft in der DDR doch immer sehr genossen, weil ich der Einzige war, mit dem er Tacheles reden konnte. Ich kannte seine Schwierigkeiten, sowohl seine prinzipiellen wie seine momentanen, und deshalb konnte er offen mit mir reden. Und was „offen“ anbetrifft, so ist mir eines im Gedächtnis geblieben: Seine Furcht vor den Oberen war so groß, dass er – als ich in Gohrisch bei ihm war und er schon sehr ernste Gehbehinderungen hatte – vorschlug, dass wir rausgehen und auf dem Tennisplatz miteinander reden, wo die Gefahr, dass jemand mithört, gleich Null war.
So erinnere ich mich, dass wir dort eine lange, lange Zeit, mindestens eine Stunde, um den Tennisplatz herumgegangen sind und er mir sein Herz ausgeschüttet hat und auf meine Fragen geantwortet hat. Das ist mir im Gedächtnis geblieben, dass er aus Furcht vor dem Abgehörtwerden sogar diesen für ihn sehr beschwerlichen Spaziergang auf sich genommen hat. Bei dem Gespräch benutzte er übrigens einige Formulierungen, die ich nachher in den Memoiren von Solomon Wolkow wiederfand. Daraus habe ich – ich glaube zu recht – den Schluss gezogen, dass das Buch authentisch ist. Er würde sonst kaum solche Ausdrücke wie „das Schlimmste waren die Berge von Leichen“, mit denen das Buch endet, mir in genau dieser Formulierung auf dem Tennisplatz wiedergegeben haben.
Waren Ihnen die schwierigen Umstände und Zwänge, unter denen er in der Sowjetunion litt, damals schon in vollem Umfang bewusst?
Natürlich. Nicht nur die ganz Nahestehenden, auch die Näherstehenden, zu denen ich ja nur gehörte, wussten, dass ihm viele Reden vorgeschrieben wurden und er sie nur abgelesen hat. Das waren nicht seine eigenen Formulierungen. Man darf aber dem Westen – wenn ich diese Formulierung benutzen darf – nicht vorwerfen, dass sie dies nicht erkannt haben und falsche Schlüsse gezogen haben. Das konnte man von außen in der Weise nicht wissen. Wir wussten, dass es Lüge war, und dass er nicht anders konnte. Und wir wussten auch, obwohl das zu einer Zeit war, die ich schon nicht mehr in der Sowjetunion verbracht habe, in welch perfider Weise er in die Partei gezwungen wurde. Dass er sich dem durch Flucht zu entziehen versuchte und man ihn aber aufspürte – all das wussten wir.
Wissen Sie, als Schostakowitsch starb, war ich nicht nur traurig, weil ich einen Übervater verloren hatte, sondern weil ich mir dachte: Nun gut, sein Schaffen hängt so sehr mit der Zeit zusammen, in der er geschrieben hat, dass nach zwanzig, dreißig Jahren kein Hahn mehr danach krähen wird, weil die Zeit vorbei ist. Es ist für mich heute eine ganz große Freude zu erleben, dass die Werke die Zeit überstanden haben. Dass also die Aussage der Werke über das hinausgeht, was die ursprüngliche Befindlichkeit des Autors zur Entstehungszeit war. Sehen Sie, ich war in der ersten Aufführung der fünften Symphonie in Moskau, die übrigens nicht Mrawinski, sondern Gauk dirigierte, und es war tatsächlich so, dass wir uns nach dem ersten Satz schüchtern zu unseren Nachbarn umgeschaut haben und uns innerlich gefragt haben: Werden wir dafür jetzt verhaftet werden, dass wir das gehört haben? So war die Situation damals. Und eine ganze Generation mit und nach Schostakowitsch hat das noch nachvollziehen können. Das ist heute natürlich anders. Heute hört man die Bedrückung des ersten Satzes, und Bedrückung ist etwas, das unabhängig ist von der jeweiligen Zeit. Für mich hat die Musik also den Test der Zeit bestanden. Es ist nicht mehr nur die Beschreibung der Zeit, sondern es ist mehr.
by berlinzerberus