Frédéric Chopin [1810-1849]
Fantaisie-Impromptu cis-Moll, op. posth. 66
Allegro agitato - Largo. Moderato cantabile - Tempo I
berlinzerberus, Klavier
Die Besonderheit dieses Impromtus cis-moll ist die Polyrhythmik (man könnte gar von einer „Polymetrik“ sprechen), welche fast das gesamte Werk durchzieht: der Part der rechten Hand ist in einem binären Rhythmus gehalten, während parallel dazu der der linken Hand eine ternäre Einteilung in Sextolen durchhält., wodurch die Noten stetig in Vierer- und Dreiergruppen zusammenfallen. Eine solche rhythmische Unabhängigkeit beider Hände ist in zeitgenössischen Klavierwerken zwar episodisch immer wieder zu finden, diese jedoch zum Kompositionsprinzip eines ganzen Werkes zu erheben (womit der musikalischen Bewegung ein besonderer Antrieb und eine beachtliche Spannung verliehen wird) war eine mutige Neuerung. Nur in den letzten Takten des ersten Teils und am Schluss des Werks verläuft der Rhythmus in beiden Händen in einem gemeinsamen binären Puls.
Im Mittelteil (Largo, Moderato cantabile) machen der virtuose Glanz und die Sechzehntelbewegungen und einer ausladenden und träumerischen Kantilene Platz, die so gesanglich ist, wie es eine Melodie Chopins nur sein kann. Auch die Polyrhythmik ist in diesem Teil dezenter; zwar besteht in der Oberstimme weiterhin die binäre und im Bass die ternäre Einteilung, doch wird das Auseinanderlaufen der rhythmischen Pulse nicht so drastisch empfunden wie bei einem stetigen Nebeneinander von Triolen und Quartolen. Dieser Mittelteil beginnt – analog zum Hauptteil – nur mit Figurationen der linken Hand, über die nach einigen Takten eine Melodie gelegt wird. Doch gehen die verwandtschaftlichen Beziehungen dieser scheinbar kontrastierenden Teile im Grunde viel weiter. Nicht nur die Begleitungen weisen Ähnlichkeiten auf, sondern auch die Melodie selbst wird aus der Motivik des Hauptthemas entwickelt, nun aber in einer Durtonart und enharmonisch in Des-Dur verwandelt. Die Frische der Kantilene ergibt sich unter anderem aus der Pentatonik, in der die erste viertaktige Phrase gehalten ist – nur eine Note, das ges im dritten Takt, geht vorübergehend darüber hinaus. Die Melodie entwickelt sich dann auf eine Art weiter, wie wir sie von klassischen Vorbildern her nicht kennen. Ihre zweite Phrase (Takt 47) ist im Verhältnis zur vorhergehenden verkürzt, als ob der zweite Takt ausgelassen worden wäre und nach dem ersten Takt daher sofort der dritte folgte; statt dessen wird sie Phrase von einem weitern Motiv ergänzt, das eine Zäsur nicht zulässt und die Melodie dazu zwingt fortzufahren (Takte 49-51). Analoge Motivbildungen sind im weitern Verlauf zu finden, so dass der ganze Mittelteil einen ununterbrochen fließenden Gesang, quasi ein Perpetuum mobile bildet. Die Melodie (zusammen mit ihrer Variante) hätte auf diese Weise endlos wiederholt werden können, wenn das zusätzliche verbindende Motiv nicht endlich (im Takt 82) „gebremst“ und ohne Auflösung unterbrochen worden wäre. Statt ihrer Wiederholung folgt aber die virtuose Reprise des Hauptteils.
Das Werk wird mit einer Coda beendet, die – wie so oft bei Chopin – neue und interessante expressive Akzente einführt. Nach einer etwas dramatischeren Gestaltung heitert sich die Stimmung plötzlich wieder auf und lässt ein geheimnisvolles, schelmisches Lächeln erkennen. Unerwartet kehrt in die linkte Hand die Melodie des Mittelteils wieder, nun aber in Cis-Dur. Zusammen mit dem gebrochenen Quartakkord (ostinato) in der rechten Hand bildet sie ganz offenkundig die pentatonische Skala cis-dis-eis-gis-ais, welche jetzt sowohl die Melodik als auch die Harmonik einschließt, wodurch dem Ganzen ein spezifisches Klangkolorit verliehen wird.
Textauszug aus "Chopin, Sein Leben, sein Werk, seine Zeit", Tadeusz A. Zielinski
by berlinzerberus
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